YOU ARE HERE
Das berührende Transformationslabor des Peter Bauhuis

Wer im Internet nach Orten und Routen sucht, stößt auf den Karten der am meisten genutzten Suchmaschine auf ein Icon, das die gesuchten Orte markiert: ein punktierter roter Kreis, der sich tropfenartig nach unten verjüngt und wie eine Pinnadel auf einen Punkt zeigt. Peter Bauhuis greift dieses digitale Markierungszeichen auf und transformiert es in eine bronzene Kugel mit nadelartiger Spitze. Ein hinter Displayscheiben unberührbares, elektronisch generiertes Graphem wird so zum dreidimensionalen, mit den Fingern greifbaren Objekt. Mit seiner elegant verlaufenden Kugelform und bronzenen Oberfläche entfaltet es ästhetische Reize, gleichzeitig spielt es mit seiner ikonisch-funktionalen Herkunft. Nicht nur, dass sein Schatten, je nach Lichteinfall, die Umrisse des 2-D-Icons der Suchmaschine annehmen kann, gemäß seiner ursprünglichen Funktion, markiert der Bronzepin einen Punkt. Ganz in diesem Sinne betitelt Bauhuis sein bronzenes 3-D-Icon: „You Are Here.“

Das „You Are Here Objekt“ ist nicht unbedingt als tragbarer Schmuck angelegt – es kann etwa vorzüglich auf Wänden und Platten eingesetzt werden – und doch zeigt sich hier Bauhuis´ lächelnder, konzeptueller Spirit, der auch seine Schmuckproduktion durchdringt. Auf gewisse Weise lässt sich „You Are Here“ gar als schmuckprogrammatisches Statement lesen, im Sinne etwa von: Der Umgang mit Schmuck ist keine oberflächliche preziöse Veranstaltung, sondern verweist immer auch auf diejenigen, die ihn tragen. Der Zeigegestus von „You Are Here“ findet ein Äquivalent in einer früher entstandene Serie von winzigen Ansteckern aus Gold und Silber. Sie ähneln Flusen und provozieren die Berührung der Geschmückten: „Statt bewundernd auf dem Schmuckstück zu ruhen, bleibt der Blick irritiert am [vermeintlichen] Fussel […] hängen. Nicht selten und oft reflexartig folgen jene Handbewegungen, mit denen man Staub und ähnliches von der Kleidung zupft oder wedelt.“ ( HYPERLINK „http://abc.artfree.de/fussel“ http://abc.artfree.de/fussel)

Wenn der Bronze-Pin an das digitale Icon und der Anstecker an einen Flusen erinnert, wird ein wesentliches Prinzip aus dem Transformationslabor des Peter Bauhuis deutlich. Bei den Gegenständen, die hier be- und erarbeitet werden, geht es nicht nur um Form und Material, wobei Bauhuis sich durchaus auf beides intensiv einlässt, man denke nur an seinen sehr bewussten Umgang mit Metallen und Gussverfahren, bei denen künstlerische Absicht und physikalisch-chemische Eigendynamik, der in Gang gesetzten Prozesse, immer wieder neu austariert werden. Über Handwerk und Physik hinausgehend arbeitet Bauhuis mit Semantik, mit assoziativen Höfen und Narrationen. Wenn er etwa zwei Gefäße, das eine aus Korinthischer Bronze und das andere aus Nordischem Gold gegenüberstellt, geht es nicht nur um den Kontrast von tiefviolett glänzend und matt golden, sondern auch um die in den Materialnamen angelegten Bedeutungen. „Korinthisch“ und „Nordisch“ weisen auf den Süden und Norden Europas, auf die antike Vergangenheit und die jüngere Gegenwart. Das Nordische Gold – ursprünglich für die schwedische 10-Kronen-Münze entwickelt – wird heute zur Herstellung von Euromünzen (10, 20, 50 Cent) verwendet. Das heißt, der suggestive Name „Gold“ produziert hier nur semantischen Schein, ist Nordisches Gold doch garantiert goldfrei – es besteht aus 89 % Kupfer, 5 % Aluminium, 5 % Zink und 1 % Zinn – und doch entfaltet das „Gold“, das sich mit Centmünzen aufwiegen lässt, seinen eigenen materialen Reiz, der es optisch in die Nähe matten Goldes rückt. Korinthische Bronze hingegen besteht, anders als Bronze, zu 1 % aus Gold. Um ihre Entstehung und Herkunft ranken sich bizarre Mythologeme und Narrationen. Der römische Geschichtsschreiber Florus etwa erfantasiert sie sich als ein Konglomerat, das, als Korinth bei seiner Eroberung brannte, durch das Zusammenschmelzen von unzähligen Statuen und Bildern aus Messing, Gold und Silber entstand. (Epitone 2.32)

Im Gegensatz zum nicht greifbaren, historischen Fantasma steht das konkret hier und jetzt Tast- und Berührbare. Sowohl für die Korinthische Bronze als auch für das Nordische Gold kommt der Berührung mit der Hand, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen, besondere Bedeutung zu. Die Legierung für das Nordische Gold wurde gezielt so entwickelt, dass selbst Allergiker, wenn sie mit Geld in Kontakt kommen, nicht an Hautausschlägen erkranken. Bei der Korinthischen Bronze hingegen entfaltet der Hautkontakt eine sozusagen heilende Wirkung. Wird die charakteristische, tief violett-schwarze Patina beschädigt, genügt es, sie mit der nackten Hand anzufassen, um die Schwärze wieder herzustellen.

Während Bauhuis hier mit chemischen Eigenschaften „spielt“, zeigt sich das bereits erwähnte semantisch-ironische Spiel auch dann, wenn er von „Ketten und Blumen“, von „chained“ und „unchained“ spricht. „Ketten“ können als Fesseln und als Schmuck verstanden werden. Wenn man „Ketten“ und „Blumen“ in einem Atemzug nennt, schwingt das semantische Pendel bei „Ketten“ in Richtung „Fesseln“, während die „Blumen“ dazu neigen, als friedvoll befreiender Kontrast verstanden zu werden. Auch mit dem Gegensatzpaar „chained“ (gekettet) und „unchained“ (entkettet) kommt ein Moment von Freiheit und Unfreiheit ins Spiel. Gleichzeitig weisen die Titel „Ketten und Blumen“, „chained“ und „unchained“ auf ein Transformationsverfahren, das aus einem pflanzenartigen Goldgebilde eine Halskette entstehen lässt: Für die Herstellung von Schmuck aus „aneinandergeketteten“ ovalen Gliedern produzierte Bauhuis Gussformen, deren einzelnen Teile wie Orbitalbahnen wirken und die als Ganzes betrachtet an Bäume und Blumen denken lassen. Das „unchained“ nun befreit die Kette aus ihrem Dasein als gegossene Orbitalpflanze und macht sie zum Halsketten-Schmuck, wobei der Zustand des „chained“ dem des „unchained“ keineswegs vorzuziehen ist. Solange die verwickelte Kette, als potentielle Halskette einen Orbitalbaum bildet, ist sie gleichermaßen „Baum“ und das Konzept einer Kette.

Sowohl in „You Are Here“ als auch in den Korinthisch-Nordischen Gefäßen ist die Herkunft, im einen Fall des Ikons, im anderen Fall des Materials von Bedeutung. Mit seinen „Replica“ spielt Bauhuis auf ein eigenes Projekt, den „Galliumhort“, an. Die erzählbare Herkunft kommt dabei auf doppelte Weise ins Spiel: Die Ringe und Ohrringe der „Replica“-Serie replizieren Formen in Bronze, die für den „Galliumhort“ aus Gallium gefertigt worden waren. Der Galliumhort wiederum ist eine von Bauhuis entworfene Fiktion einer Ausgrabungsstätte. Um der fiktiven Konstruktion Glaubwürdigkeit zu verleihen, präsentierte er die „Ausgrabungsstücke“ mit „wissenschaftlichen“ Belegen in Münchens Archäologischem Museum. Im Galliumhort übersetzte Bauhuis seine Fiktion in ein ihr entsprechendes Material: Kommt aus Gallium gefertigter Schmuck mit dem menschlichen Körper in Berührung, beginnt er sich, aufgrund des niederen Schmelzpunktes von Gallium, zu verflüssigen und aufzulösen. Die bronzenen „Replica“ sind so betrachtet tragbare Andenken an eine Realität, die sich bei näherem Kontakt einfach verflüchtigt.
Heinz Schütz