Mykologie in der Goldschmiede-Kunst

Anmerkungen zur Ausstellung „Hallimasch“ von Peter Bauhuis
 

 

Pilze bilden eine Welt sui generis. Lange Zeit galten sie als Pflanzen. Die neuere Biologie hingegen rechnet sie zur Domäne der Lebewesen mit Zellkern (Eukaryoten), wo sie neben Tieren, Pflanzen, geißeligen Einzellern (Chromista) und einzelligen „Urtierchen“ (Protozoen) ein eigenständiges Reich bilden.* Eine jüngere biologische Klassifikation rückt Pilze in die Nähe der Tiere und ordnet beide einer Supergruppe unter. ** Neben mikrobiologischen Ähnlichkeiten verbindet beide insbesondere ihre heterotrophe Ernährung: Pilze leben wie Tiere und Menschen vom Verzehr anderer Organismen. Fern wissenschaftlicher Taxonomie und mikrobiologischer Einsichten erscheinen Pilze in der Alltagserfahrung als ein Art von Paralleluniversum: Wo nichts zu sein scheint, ist offensichtlich doch etwas: Plötzlich, affiziert von den fürs bloße Auge nicht sichtbaren, aber doch ständig anwesenden Pilzsporen, beginnt die Zitrone zu schimmeln, der Gang durchs Hallenbad lässt Fußpilz wachsen und im Wald stößt der Spaziergänger auf Gewächse, die er Pilze nennt, die tatsächlich aber nur der Fruchtstand, ein kleiner, sichtbarer Teil des Pilzes sind. Seine eigentliche Ausdehnung erfährt er im Myzel, einem Geflecht fadenförmiger Zellen (Hyphen) im Boden oder im Holz.

Wenn nun der Goldschmied-Künstler Peter Bauhuis „Hallimasch“ als Ausstellungstitel wählt, bezieht er sich auf eine Pilzart, die durch die immense Ausdehnung ihres Myzels auffällt. Bei der Ursachensuche für ein mysteriöses Waldsterben wurde in einem Nationalpark in Oregon vor vierzehn Jahren ein neun Quadratkilometer großer, sechshundert Tonnen schwerer und zweieinhalb Tausend Jahre alter Hallimasch entdeckt. Zweifellos fasziniert Bauhuis auch die plastische Form von Pilzen – seine „Blob-Ringe“ und „Blob-Ketten“ etwa weisen Analogien auf – doch mehr noch ist es das auf den ersten Blick unsichtbare Myzel, das Aufschluss über seine Arbeit zu geben vermag. Das Myzel kann als Prototyp eines Rhizoms betrachtet werden: ein wild wucherndes Wurzelnetz in dem jeder Punkt mit jedem verbunden ist. Im philosophischen Diskurs erklären Félix Guattari und Gilles Deleuze das Rhizom zum epistemologischen Modell, das im Gegensatz zur binären Logik des überlieferten Baummodells mit seinen Über- und Unterordnungen, Ein- und Ausgliederungen, nicht hierarchisch strukturiert ist, sondern nach allen Seiten offen bleibt für die unterschiedlichsten Bezüge und Erkenntnisprozesse. Die anfangs erwähnte biologische Taxonomie etwa hat sich zunehmend in diese Richtung entwickelt. Insbesondere in der Debatte um Hypertexte spielt das unhierarchisch Rhizomatische heute eine wichtige Rolle.

Bauhuis thematisiert das Rhizomatische explizit mit dem feinen Liniengestrüpp einer im Jahr 2006 entstandenen Zeichnung. Sein Buch „ABCDEARIUM“ folgt keiner übergeordneten Narration, sondern dem durch die alphabetische Anordnung bedingten Zufall, wobei, ein wenig wie in Guattari/Deleuze´ „1000 Plateaus“, unterschiedlichste Textsorten und Inhalte gleichwertig nebeneinander stehen. Ganz in diesem Sinne zeigt auch „Hallimasch“ nicht ausschließlich Schmuckobjekte. Im Gegensatz zu konventionellen Präsentationen, wo die Hierarchien eindeutig sind und alles was nicht Schmuck ist, dazu dient als Dekor des Dekors die Erscheinung und den Wert von Preziosen zu steigern, präsentiert Bauhuis Wertvolles gleichwertig neben Billigem, Gefundenes neben selbst Produziertem, das Gelungene neben dem Fehlguss, Postkarten, Texte, Stempel neben Ringen, Ketten, Gefäßen. Dieses rhizomatisch-simultanistische Prinzip findet sich auch auf der Ebene der Bauhuis-Produktion. In mehreren Serien etwa wurden einzelne Gefäße simultan in einem Akt mit unterschiedlichen Legierungen gegossen.

Schmuck scheint unmittelbar zu wirken und doch ist er eingebettet in Diskurse, die seine Wahrnehmung, Bedeutung und Funktion bestimmen. Auch hier greift das Bild des Hallimasch: Die zur Erscheinung tretenden Fruchtkörper sind verbunden mit jenem unsichtbaren, unter der Erde liegenden Geflecht. Auf dieses Unsichtbare richtet Peter Bauhuis sein besonderes Interesse. In seinem „Galliumhort“ erklärt er durch fingierte Narrationen den von ihm produzierten Schmuck zu einem archäologischen Fund aus der Hallstattzeit und präsentiert ihn mit Erläuterungen und fotografischen Belegen in der Archäologischen Staatssammlung in München. Bei einem Russlandaufenthalt konstruiert Bauhuis im Verweis auf Bandornamente, die er mit der Form der Brezel in Verbindung bringt, mit Hilfe von selbstproduzierten Objekten und patinierten Fundstücken ein kulturhistorisches Fantasma.

Die besondere Pointe des „Galliumhorts“ besteht darin, dass sich der aus Gallium gefertigte Schmuck, sobald er für einige Zeit mit dem Körper in Berührung kommt, zu verflüssigen beginnt – der Schmelzpunkt von Gallium liegt bei 29,77 Grad. Die enge Beziehung von Körper und Schmuck, die hier zu dessen Auflösung führt, erscheint in den „Avancen“ als Spur einer Berührung. Die Anstecker aus Silber oder Gold sind das Resultat zweier Fingerspitzenabdrücke, die den Schmuckträger imaginär touchieren, wohingegen der „Fussel“ das Gegenüber geradezu herausfordert, ihn qua realer Berührung wegzuschnippen, um dann allerdings festzustellen, dass es sich bei dem vermeintlich fusseligen „Unrat“ um Gold handelt. Dieses Spiel mit Anwesenheit und Abwesenheit im Körperkontext prägt auch Broschen wie „Outis“ und Halsschmuck wie „Orifice“. Sie thematisieren das Loch, die Öffnung und die Leere in Relation zum plastischen Material.

Aus dem Myken des Hallimaschs, das sich den Blicken entzieht, treten die in dichten Gruppen auftretenden Fruchtstände zu Tage. Der auch Honigpilz genannte Hallimasch schimmert in verschiedenen Gold- und Brauntönen, im Dunkeln vermag er ein kaltes, mysteriöses Leuchten zu erzeugen. Das Leuchten wird auf den Stoff Luciferin zurückgeführt, was in wörtlicher Übersetzung einfach „Lichtträger“ bedeutet. Der Lichtträger wurde im christlichen Sprachgebrauch zum Teufel. Folgt man den Äußerungen von Peter Bauhuis, dann freut er sich himmlisch über den teuflischen Namen, den er über den Hallimasch in seine Ausstellung trägt.

                                                                                                                        Heinz Schütz

 

* Das sechste Reich sind für Cavalier-Smith die Baketerien aus der Domäne der Prokaryoten (Lebewesen ohne Zellkern). S. Thomas Cavalier-Smith: A revised six-kingdom system of life. In: Biological Reviews. Band 73, 1998, S. 203–266.

** Eine neuere Klassifikation unterscheidet in der Domäne der Eukaryoten sechs Supergruppen: Amoebozoa (Amöbenartige und Schleimpilze), Opisthokonta (u.a. Tiere und Pilze) Rhizaria, amöbenartige Protista mit Scheinfüßchen, Archaeplastida (Landpflanzen, Grünalgen, Rotalgen, u.a.) Chromalveolata (viele Algen) Excavata, verschiedene